Tagung

Botanik & Ästhetik

P-J Redouté, Rosier jaune de souffre (Detail)
P-J Redouté, Rosier jaune de souffre (Detail)

 

SYMPOSIUM „BOTANIK UND ÄSTHETIK“

14.-16. September 2017
Botanischer Garten der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Eine Kooperation der Alexander von Humboldt-Professur für neuzeitliche Schriftkultur und europäischen Wissenstransfer mit dem Institut für Geobotanik /Botanischer Garten (beide Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) und dem Zentrum für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur (CGL) der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover

WISSENSCHAFTLICHE ZIELSETZUNG

Das interdisziplinär und international ausgerichtete Symposium will in einzelnen Studien der Wechselbeziehung und den Schnittstellen zwischen Botanik und Ästhetik von der Frühen Neuzeit bis ins frühe 20. Jahrhundert nachgehen. Das Thema ist ausdrücklich im Spannungsfeld zwischen kunsttheoretischen und naturgeschichtlichen Diskursen und Fragestellungen angesiedelt und richtet sich an Wissenschaftler*innen verschiedener Disziplinen (z.B. Botanik, Theorie und Geschichte der Gartenkunst, Kunst- und Kulturwissenschaft, Literaturwissenschaft, Wissenschaftsgeschichte, Buchwissenschaft).

Verschiedene Prozesse des Transfers, des Austausches und der Schnittstellen zwischen Botanik und Ästhetik sollen anhand von einzelnen Fallstudien medien-, epochen- und fächerübergreifend untersucht werden. Zentrale Fragen sind dabei unter anderem: Ist ein Rückgriff von Botanikern/Naturhistorikern auf ästhetische und kunsttheoretische Diskurse, Bewertungsmaßstäbe und -kriterien (beispielsweise auf kunstakademische Vorschriften, kanonische Texte der Kunsttheorie und -geschichte usw.) nachweisbar? Gibt es andererseits Beispiele dafür, dass Systeme, Ordnungskriterien und Terminologien aus der Botanik in der Ästhetik übernommen werden? Kann man von einer ‚Botanisierung‘ oder ‚Biologisierung‘ der Ästhetik‘ sprechen?

Schriftliche Quellen, Zeugnisse aus der Dichtkunst und der Naturhistorie interessieren dabei ebenso wie Bilddokumente, botanische Illustrationen, Objekte des Kunstgewerbes, Beispiele der Architektur und Architekturtheorie oder der Gartenkunst sowie der Pflanzengeographie und Pflanzenökologie, in denen ein Transfer zwischen botanischen und ästhetischen Diskursen stattfindet. Ebenso sind Beiträge zu einzelnen Persönlichkeiten (Tournefort, Linné, Buffon, Jussieu, Goethe, Brockes, Alexander von Humboldt, Haller, C. H. Dörrien, Candolle, Haeckel, Willy Lange, Reinhold Tüxen etc.) und einzelnen Beständen (z. B. Franckesche Stiftungen Halle, Universität Halle, Anna Amalia Bibliothek Weimar, Forschungsbibliothek Gotha, Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek Hannover) willkommen.

KURZE EINFÜHRUNG IN DIE THEMATIK UND
SKIZZIERUNG DER ZENTRALEN FRAGESTELLUNGEN

Bildliche Repräsentationen von Pflanzen, Buchillustrationen und die Herstellung und Verbreitung von Pflanzenabbildungen haben für die Botanik als ‚visueller Wissenschaft‘ von jeher eine elementare Bedeutung. Vor allem die botanische Illustration entwickelte ein Zusammenspiel von Wissenschaft und Kunst, das insbesondere in der Morphologie der Pflanzen und ihrer ästhetischen Gestaltung zum Ausdruck kommt. Ausschlaggebend war dabei der enge Austausch zwischen Naturforschern und Künstlern. So lieferten letztere mit illusionistischen Darstellungsweisen und hohem handwerklichem Vollendungsgrad die Zeichnungen, Kupferstiche und Radierungen idealisierter Musterbeispiele von Pflanzen für die zahlreichen botanischen Prachtwerke des 16., 17. und 18. Jahrhunderts und trugen damit erheblich zu einer Weiterverbreitung botanischen Wissens bei. Gleichzeitig steht die Verwendung floraler Motive (Pflanzen, Blüten, Früchte) in der bildenden Kunst in einer langen, bis in die altorientalischen Kulturen und die Antike zurückreichenden Tradition. Neben ihrer Funktion als Rohstoffprodukt, Heilmittel oder wissenschaftlichem Studienobjekt waren Pflanzen zugleich Quelle künstlerischer Inspiration und wurden dementsprechend als ästhetische Objekte betrachtet. Die Ausbildung der (so bezeichneten) „ästhetischen Botanik“ als eines Zweigs der Botanik ist jedoch zunächst unabhängig vom Medium Bild zu betrachten. Erst in einem zweiten Schritt führt sie zur Frage nach der botanischen Illustration, denn diese geht der „ästhetischen Botanik“ um mehr als zwei Jahrhunderte voraus.

Erst mit der Herausbildung der Ästhetik als eigenständiger Disziplin einerseits und dem Wunsch nach einem natürlichen System andererseits, welches mit der Einführung der verbindlichen binären Nomenklatur durch Linné in die Botanik einen prägenden Ausdruck fand, treffen im 18. Jahrhundert nun zwei Entwicklungen aufeinander, die – so die Ausgangsthese – einen wechselseitigen Transfer von Wissen, Bewertungsmaßstäben, Systemen und Ordnungskriterien nach sich zieht.

Begreift man die Botanik als eine der Leitwissenschaften des späten 18. Jahrhunderts, erhebt sich unweigerlich die Frage, ob und wie sich das auf andere Wissenssysteme auswirkt. In diesem Zusammenhang ist u.a. die These aufgestellt worden: „Die von der Botanik gelieferten Systementwürfe nahmen auch Einfluss auf die Ordnungskriterien der Kunst.“2 Gleichzeitig häufen sich um 1800 die Publikationen zu den Themen „Ästhetik der Blumen“ (Johann Samuel Schröter, 1803) oder „Ästhetische Pflanzenkunde“ (Friedrich Gottlieb Dietrich, 1812). Igor Polianski spricht in einer 2004 erschienenen Studie von einer „Ästhetisierung der Pflanzenkunde“ (Polianski 2004) in der Zeit um 1800 und führt als Beispiel unter anderem Goethes ‚ästhetische Durchleuchtung‘ der Natur an.

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Hier wäre zu fragen, ob und wann eine Ästhetisierung und ‚Versinnlichung‘ der Botanik tatsächlich einsetzt. So geht etwa der Schweizer Ästhetiker und Naturforscher Johann Georg Sulzer, in seinen „Unterredungen über die Schönheit der Natur“ (1750, Kapitel: „Von der Schönheit der Pflanzen“) auf Proportionen, Farbigkeit, Gestalt und Linien der Pflanzen ein und vergleicht sie mit Statuen. Zudem misst er in seinen Ausführungen dem Eindruck, den die Pflanzen auf das Gemüt und die Empfindung ausüben, große Bedeutung bei. In diesem Zusammenhang wären zudem der in Halle geborene Theologe und Kirchenlieddichter Johann Gottfried Olearius (1635-1711), der in seinen frühen Jahren an der Marienkirche in Halle predigte und sich auch als Botaniker betätigte,3 sowie Albrecht von Haller, ebenfalls Botaniker und Dichter, und Barthold Heinrich Brockes zu nennen. Olearius‘ Erbauungsschrift „Hyacinth-Betrachtung“ (1665) Hallers Gedicht „Die Alpen“ (1729) oder Brockes „Irdischem Vergnügen in Gott“ (1721-1748( zeigen, wie sehr im 17. und frühen 18. Jahrhundert ästhetische Reflexionen mit botanischem und religiöser Erbauung, Empfindungen und Beobachtungen, naturalistische Pflanzendarstellung und Allegorien vermischt werden.

In Analogie dazu, wollen wir untersuchen, wie solche Tendenzen mit Bestrebungen und Entwicklungen auf botanischem Terrain korrespondieren. Einen ersten Ansatz könnte die Begriffsgeschichte von „Botanik“ selbst liefern. Erst mit C. von Linné avanciert Botanik zum Titel für das Teilgebiet der Naturkunde, das die Erforschung der Pflanzen betrifft. In seiner „Philosophia botanica“ von 1751 definiert Linné die Botanik in diesem Sinne: „Botanica est scientia naturalis quae vegetabilium cognitionem tradit.“ Auf Linné geht auch die Kennzeichnung der Botanik als „scientia amabilis“ („amabilem scientiam“) zurück (1767). Interessant ist der Umstand, dass derselbe Linné, der die Botanik als „scientia naturalis“ definiert, sie auch als „scientia amabilis“ charakterisiert. Wird damit nicht das aus der Botanik als Naturwissenschaft Ausgeschlossene auf anderem Wege wieder eingeführt? Steckt in der „liebenswerten Wissenschaft“ nicht auch ein ästhetisches Moment? Es scheint jedenfalls kein Zufall zu sein, dass man in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zusehends von der „scientia amabilis“ abrückte, um dem ‚Ernst der Wissenschaft‘ Genüge zu tun.

Zudem fällt auf, dass das nicht zuletzt von Linné geförderte „neue Selbstbewusstsein der Botanik mit ihrer Maxime eines dem Reich der Zwecke enthobenen Natürlichen Systems“ (Polianski, S. 127) mit der Entstehung eines autonomen Kunstverständnisses konform geht. So bemerkt Polianski, dass es „im Ausgang des 18. Jahrhunderts mit der Dekonstruktion des physikotheologischen Paradigmas und in der Auseinandersetzung mit dem Nützlichkeitsdiskurs“ Bestrebungen gab, „die Botanik (wie die Naturgeschichte überhaupt) analog zu den schönen Künsten ästhetisch aufzuwerten und sie so als eine in sich selbst begründete, von den Interessen der Medizin und Ökonomie befreite interessenlose Disziplin zu etablieren.“ (Polianski, S. 126.) Die Unterstützung dafür kam unter anderem aus den sich in dieser Zeit intensivierenden Wechselbeziehungen zwischen Kunst- und Naturgeschichte: das Winckelmannsche Modell der Geschichte der Kunst fand – etwa mit Robinet de Chateaugiron – in der Naturgeschichte Nachahmer. Interessant sind dabei auch die von Linné abweichenden Nomenklaturmodelle (wie etwa die natürliche Pflanzensystematik von Jussieu) und deren bildliche Darstellungen bzw. Interpretationen (Alexander von Humboldt). Auch die Pflanzendarstellungen von Malern wie Pierre-Joseph Redouté, die sowohl auf naturwissenschaftlicher als auch auf künstlerischer Seite maßgeblichen Wert besitzen, sind für die Verzahnung von Botanik und Ästhetik aufschlussreich und verdienen besondere Beachtung.

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Für das 19. Jahrhundert und das frühe 20. Jahrhundert ist u.a. die Entwicklung von wissenschaftlichen Disziplinen wie Pflanzengeographie, Pflanzensoziologie, Pflanzenökologie von Bedeutung. In diesem Zusammenhang sind z.B. Alexander von Humboldt und Ernst Haeckel von Interesse. Haeckels Darstellungen von Radiolarien (auf Karl Blossfeldt sei ebenfalls verwiesen) wurden in zahlreichen Schriften einer größeren Öffentlichkeit bekannt gemacht, die die Vorstellungen über Natur und Ästhetik beeinflusst haben könnten. Alexander von Humboldts Vorstellungen zur Physiognomie von Pflanzen (siehe z.B. „Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse“, 1806) hatten nicht nur Einfluss auf die Landschaftsmalerei, sondern beeinflussten auch Aufgabenfelder der Gartenarchitektur. Hier wäre beispielsweise der ‚Erfinder‘ des Naturgartens in Deutschland, der Gartenarchitekt Willy Lange zu nennen, der ab 1900 seine Vorstellungen zum Naturgarten umfassend publiziert und sich dabei u.a. auch auf Haeckel bezieht. Im diesem Zusammenhang kündigt Lange die zukünftige Ästhetik als eine „biologische Ästhetik“, als „die Lehre von den Erscheinungen, welche biologisch zusammengehören“4 an.5 Gerade hier kann von einer ‚Biologisierung‘ der (Garten-)Ästhetik gesprochen werden. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und im Zusammenhang mit der Entwicklung des sog. Öko-Gartens wird dies zu einer Ökologisierung der Gartenästhetik.

Daneben wäre zu hinterfragen, ab wann Botanische Gärten dazu übergehen, sich selbst ein mehr oder weniger ästhetisches Aussehen zu geben. Landschaftliche Gestaltungselemente sind um 1800 sowohl im hannoverschen Berggarten nach dem Plan von Johann Christoph Wendland (1755-1828) wie im Botanischen Garten Schöneberg bei Berlin nach dem Plan von Carl Ludwig Willdenow (1765-1812), aber auch im Botanischen Garten Poppelsdorf bei Bonn nach der Übernahme durch Christian Gottfried Daniel Nees von Esenbeck (1776-1858) im Jahr 1818 auszumachen. Wie schlagen sich ästhetische Vorstellungen zu Natur/Botanik (u.a. der Einzug von neuen Gartenmotiven wie Heidegarten, Steingarten/Alpinum, Moorlandschaft, Präriegarten) im 19. und 20. Jahrhundert in den Botanischen Gärten nieder? Bietet der inzwischen dreihundert Jahre alte und als „Hortus Medicus“ gegründete Botanische Garten der Universität Halle-Wittenberg in seiner Gestaltungsgeschichte einschließlich der Architektur (Sternwarte von Langhans, Tropenhaus) ebenfalls Anknüpfungspunkte für einen Zusammenhang von Botanik und Ästhetik?

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Symposium „Botanik und Ästhetik“

Kooperation der Alexander von Humboldt-Professur für neuzeitliche Schriftkultur und europäischen Wissenstransfer mit dem Institut für Geobotanik /Botanischer Garten (beide Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) und dem Zentrum für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur (CGL) der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover

Programmkomitee: Prof. Dr. Elisabeth Décultot (Halle), Prof. Dr. Hubertus Fischer (Hannover), Dr. Jana Kittelmann (Halle), Prof. Dr. Joachim Wolschke-Bulmahn (Hannover)

Datum: 14.-16. September 2017

Ort: Botanischer Garten der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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