Workshop

Die Hermeneutik der Aufklärung und das Recht

Organisiert von Denis Thouard (CNRS/EHESS) und Frank Grunert (IZEA) in Kooperation mit der Alexander von Humboldt-Professur für neuzeitliche Schriftkultur und europäischen Wissenstransfer

Die Hermeneutik der Aufklärung ist in der jüngeren Vergangenheit bereits häufiger Gegenstand des wissenschaftlichen Interesses gewesen. Die Studien u. a. von Oliver R. Scholz, Axel Bühler und Luigi Cataldi Madonna sowie von Manfred Beetz und Guiseppe Cacciatore haben ein Forschungsgebiet erschlossen, das über lange Zeit im Schatten einer im 19. Jahrhundert etablierten ungünstigen Bewertung stand. Obwohl auch der juristischen Hermeneutik des 18. Jahrhunderts als eine auf einen spezifischen Gegenstand konzentrierte Spezialhermeneutik vor allem durch die Arbeiten von Jan Schröder vermehrte Aufmerksamkeit zu Teil geworden ist, gilt diese – in der Sicht von Jan Schröder, aber auch nach Auffassung von Oliver R. Scholz – für noch nicht hinreichend erforscht. Der geplante Workshop verfolgt das Ziel, an die vorhandenen Forschungsergebnisse anzuknüpfen und die spezifischen Konturen einer juristischen Hermeneutik der Aufklärung im produktiv zu machenden Kontext einer allgemeinen Hermeneutik herauszuarbeiten, die im Lauf des 18. Jahrhunderts an Bedeutung und theoretischer Reichweite zulegte.

Konzept
Programm

Konzept

Geht man von einer Entwicklungsgeschichte der Hermeneutik aus, die sich im Bemühen um das rechte Verständnis der Bibel einerseits und um die Auslegung von Gesetzestexten andererseits formiert und so im Ausgang von speziellen Gegenständen auf eine allgemeine Hermeneutik zuläuft, dann stellt sich doch die Frage nach den Spezifika der nach wie vor relevanten speziellen Hermeneutiken und in diesem Fall nach den Spezifika der juristischen Hermeneutik. Denn auch wenn diese von den methodischen Neuerungen in der Logik und der Philologie profitierten, behalten sie durch ihre Beziehung auf ihren Gegenstand und dessen Funktion sowie durch die methodischen Erfordernisse ihrer jeweiligen Disziplin ihre besondere Aufgabe und damit ihre Bedeutung. Die tatsächliche oder auch nur unterstellte Subsumtion spezieller Hermeneutiken unter die allgemeine lässt sich als eine Ausdifferenzierung beschreiben, durch die die Hermeneutik gegenüber anderen kognitiven Vorgängen und methodischen Formen des Zugriffs ihre spezifische Leistungsfähigkeit behauptet; dass dieser Differenzierungsprozess sich nicht disziplinär fortsetzt und intensiviert, ist angesichts der im 18. Jahrhundert stattfindenden Modernisierungen der einzelnen Disziplinen kaum anzunehmen. In diesem Zusammenhang wäre eben zu eruieren, ob und in wieweit einzelne, am spezifischen Gegenstand der Spezialhermeneutiken gewonnene Einsichten an den Diskurs der allgemeinen Hermeneutik weitervermittelt werden.

Ein Bewusstsein von den Besonderheiten der juristischen Hermeneutik sowohl hinsichtlich ihres Gegenstandes als auch mit Blick auf ihre Funktion findet sich allenthalben. Bemerkenswert ist etwa die Art und Weise, in der Samuel Pufendorf in De jure naturae et gentium und in De officio hominis et civis die necessitas rectae interpretationis auf einem die Jurisprudenz unmittelbar betreffendes obligationstheoretisches Argument basiert und damit zugleich demonstriert, dass das durch die juristische Hermeneutik hergestellte Verständnis eines für juristische Zusammenhänge relevanten Textsinnes über die Erkenntnis hinausgeht und eine dezidiert praktische Wirkung entfaltet. Weil Verpflichtungen Willenshandlungen darstellen, die sich nur durch Zeichen und als Zeichen verstandene Handlungen kundgeben, kommt es darauf an, diese Zeichen hinsichtlich ihres Inhalts und ihrer Geltungsbedingungen – etwa ihrer Reichweite – angemessen zu verstehen. Die von einem Gesetz oder von einem Vertrag ausgehende Obligation beruht daher – weniger in ihrem normativen, wohl aber in ihrem notwendigen pragmatischen und insofern die Norm berührenden Sinn – auf der richtigen Auslegung der Zeichen. Diese legt den Gegenstand der Obligation ebenso fest wie die Grenzen ihrer Wirksamkeit. Weil niemand zu mehr und zu anderem verpflichtet werden kann, als der durch Legitimität begrenzte Wille des Gebietenden bestimmt, und weil bei freiwilligen Verpflichtungen niemand über das hinaus verpflichtet werden kann, was er selbst bekundet hat, berührt die Auslegung der Willensbekundungen im gegebenen normativen Rahmen den Kern jeglicher Obligation. Juristische Hermeneutik hat genau damit zu tun. Im Unterschied zu einer allgemeinen Hermeneutik schafft ihre Erkenntnis (juristische) Fakten, mit denen in der Folge wiederum (juristisch) zu rechnen ist. Insofern spielt die juristische Hermeneutik in allen Rechtsbeziehungen eine entscheidende Rolle, und zwar in einer zweifach doppelten Perspektive: nämlich in der Perspektive der Verpflichtenden und in der Perspektive jener, die umgekehrt verpflichtet werden, und dies sowohl in privaten als auch in öffentlichen Rechtsbeziehungen. Juristische Hermeneutik kommt daher nicht nur dort zum Tragen, wo die Bekundung eines verpflichtenden Willens im Hinblick auf einen gegebenen Fall in Frage steht, die Geltung des Allgemeinen also auf die Faktizität des Besonderen angewandt werden muss, sondern sie wird bereits dort in Rechnung gestellt, wo es – nämlich mit Blick auf seine Durchsetzungschancen – auf die Formulierung des bindenden Willens ankommt. Juristische Hermeneutik ist daher sowohl hinsichtlich der Rechtsprechung als Rechtsfeststellung als auch mit Blick auf Rechtschöpfung von Bedeutung.

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Die Frage nach der juristischen Hermeneutik der Aufklärung lässt sich vor diesem Hintergrund weiter konkretisieren:

  1. Auf welche juristischen Sachverhalte bezieht sich die juristische Hermeneutik mit dem Anspruch auf rechtsverbindliche Klärungen genau? Wie geht sie mit diesen Sachverhalten im Einzelnen um, d.h. welche Verfahren legt sie für eine recta interpretatiofest und wie entwickeln sich diese Verfahren.
  2. Mit welchen theoretischen Mitteln problematisiert die juristische Hermeneutik den Hiatus zwischen allgemeiner Norm und der Besonderheit des Einzelfalls? Wie gelingt die Vermittlung und welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang eine mit hermeneutischen Mitteln zu leistende und in der Regel für problematisch gehaltene Rechtsfortbildung?
  3. Welche Textsorten spielen im Diskurs der juristischen Hermeneutik eine Rolle? Verbleibt die Diskussion auf der Ebene einer theoretischen Erörterung innerhalb der Rechtswissenschaften, oder wird von Seiten der Politik bzw. des Gesetzgebers normativ eingegriffen?
  4. Wie geht die juristische Hermeneutik mit der Integration und Vermittlung unterschiedlicher Rechte und – damit verbunden – unterschiedlicher Rechtsquellen um, die im Laufe des 18. Jahrhunderts in ihrer Gewichtung differieren? Die Einbeziehung der Geschichte, insbesondere der Rechtsgeschichte stellt vor diesem Hintergrund nicht zuletzt ein hermeneutisch zu bearbeitendes Problem dar.
  5. Mit Blick auf die theoretischen Entwicklungen des 17. und 18. Jahrhunderts stellt sich die Frage nach dem Beitrag, den die Aufklärung, bzw. die Innovationen des 18. Jahrhunderts, für die weitere Formierung der juristischen Hermeneutik leistet. Inwiefern und aufgrund welcher Kriterien kann in einem genauen Sinne von einer juristischen Hermeneutik der Aufklärung gesprochen werden?
  6. In welchem Verhältnis steht die juristische Hermeneutik zur allgemeinen Hermeneutik? Bezieht die juristische Hermeneutik theoretische Einsichten von der allgemeinen in dem Sinne, dass sie diese bloß auf einen spezifischen Gegenstand appliziert, oder entwickelt sie diese Einsichten weiter und leistet damit einen Beitrag für die weitergehende Formierung der allgemeinen Hermeneutik?
  7. Lässt sich ein theoretisches Erbe der juristischen Hermeneutik der Aufklärung konstatieren? Bleiben gewonnene Einsichten auch jenseits des 18. Jahrhunderts erhalten, etwa über Transformationen in die juristische Methodologie?

Die gestellten Fragen berühren das Selbstverständnis der Jurisprudenz des 18. Jahrhunderts in ihrem Kern, insofern kann der kleine Workshop zunächst nur Perspektiven ihrer Beantwortung erarbeiten und zielt daher in erster Linie auf eine Bestandsaufnahme des Forschungsfeldes. Auf deren Grundlage soll dann zeitnah eine umfassende Tagung zum Thema organisiert werden, zu der alle Referenten des Workshops erneut eingeladen werden.

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Programm

4. Juli 2018

18.00   Denis Thouard (Paris) & Frank Grunert (Halle)
Begrüßung und Einleitung

18.30 Öffentlicher Abendvortrag

Jan Schröder (Tübingen)
Theorie der Gesetzesinterpretation in der Neuzeit

5. Juli 2018

09.00-9.45 Rainer Maria Kiesow (Paris)
Zwischen Gesetz und Urteil gibt es keine Hermeneutik – oder wie 1912 die traditionellen Auslegungsmethoden ihr Ende fanden

09.45-10.30 Laetitia Ramelet (Lausanne)
„Ratio naturalis“ und „usus“: Die richtige Auslegung in Grotius‘ De iure belli ac pacis

10.30-11.00  Kaffeepause

11.00-11.45 Frank Grunert (Halle)
De interpretatione. Die Hermeneutik in den deutschen Naturrechtslehren

11.45-12.30 Matthias Kaufmann (Halle)
Hermeneutik bei Vico

14.00-14.45 Oliver R. Scholz (Münster)
Über Präsumptionen

14.45-15.30 Christian Berner (Paris)
Georg Friedrich Meiers allgemeine Auslegungskunst, mit besonderer Rücksicht auf das Verhältnis zu Elementen der juristischen Hermeneutik

15.30-16.00 Kaffeepause

16.00-16.45 Benjamin Lahusen (Berlin)
Entscheidungsgründe und Zweifelsgründe. Die praktische Hermeneutik von Friedrich Carl von Savigny

16.45-17.30 Pierre Thévenin (Paris)
Besitz und menschliche Würde. Friedrich Carl von Savigny und die juristische Umgehung der Aufklärung

Ab 17.30 Table ronde: Perspektiven der weiteren Forschung

Zum Flyer geht es hier.

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Ort: Interdisziplinäres Zentrum für die Erforschung der europäischen Aufklärung (IZEA), Christian-Thomasius-Zimmer
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Franckeplatz 1 , Haus 54
D-06110 Halle/Saale

Zeit: 4. Juli – 5. Juli 2018

Konzept & Organisation: Prof. Dr. Denis Thouard, Dr. Frank Grunert, in Kooperation mit der AvH-Professur

Kontakt & Anmeldung: